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Rassismus in Deutschland: Far beyond AfD

Deutschlandweit gibt es Diskussionen und Proteste gegen die völkisch-rassistische Ideologie der AfD. Doch wie weitreichend ist die Gegenwehr und wer dominiert die öffentliche Debatte? Eine persönliche Bilanz.

Es ist nun schon über drei Wochen her, dass Correctiv den Artikel “Geheimplan gegen Deutschland” veröffentlicht hat. Wer nur einigermaßen aufmerksam die Nachrichtenlage in Deutschland verfolgt, kann davon jedoch nicht mehr ernsthaft überrascht sein – der Correctiv-Artikel reiht sich ein in eine lange Reihe von Berichten, die den Rassismus der AfD und anderen Vertreter*innen der Neuen Rechten offenlegt. Und dennoch hat es gerade dieser Artikel geschafft, so viele Menschen zu berühren und ihnen die widerwärtigen Wunschvorstellungen der Neuen Rechten deutlich vor Augen zu führen. Der Artikel liest sich wie das Negativbeispiel einer Fortbildung zu Rassismuskritik: Auf Basis einer rassistischen, völkischen Ideologie wird dort beurteilt, wer zu Deutschland gehöre und wer unter dem verharmlosenden Titel “Remigration” gewaltsam ins Ausland deportiert werden solle – unabhängig vom Aufenthaltsstatus oder einer deutschen Staatsbürgerschaft. Damit dürfte jetzt auch der letzten Person endlich klar sein, was BIPoC längst wissen und was Trainer*innen für Rassismuskritik in Dauerschleife predigen: Es geht nicht um “Ausländer” oder “Migration”. Rassismus gleicht Menschen gegen eine gesellschaftlich konstruierte Norm des Weißseins ab und stellt auf dieser Grundlage fest, wer – einfach ausgedrückt – akzeptiert wird und wer nicht. Diese Akzeptanz macht sich nicht an rechtlichen Anerkennungsstatus oder einem Geburtsort außerhalb deutscher Staatsgrenzen fest, sondern an mehr oder weniger sichtbaren Merkmalen wie Hautfarbe, religiösen Symbolen oder vermeintlich “fremd” klingenden Namen. Denn wo früher noch allein die Blut-und-Boden-Ideologie ausschlaggebend war, hat sich inzwischen ein auf scheinbar kulturellen Unterschieden begründeter Rassismus verbreitet. Statt sich mit eigenen Normen und Einstellungen zu befassen, werden unliebsame Eigenschaften gerne auf “die Anderen” projiziert. Wer zudem sozialen Erwartungen an das eigene Verhalten nicht entspricht, wird zusätzlich als “fremd” markiert und muss mitunter mit erheblichen Einschränkungen und Abwertungen rechnen. So werden auch BIPoC, die ihre Identität selbstbewusst ausleben meist von weiß-positionierten Menschen als nicht angepasst, irritierend oder bedrohlich wahrgenommen.

Auch wenn sich Rassismus in seinen Extremen in Äußerungen von AfD-Politiker*innen und anderen Vertreter*innen der Neuen Rechten finden lässt, so ist er doch keinesfalls darauf beschränkt. Um wirklich nachhaltig rassistische Bestrebungen zu unterbinden, ist es notwendig, sich ein ganzheitliches Bild von Rassismus in Deutschland zu machen und dabei an unterschiedlichen Stellen anzusetzen: auf der persönlichen, institutionellen und strukturellen Ebene.

Die Medienberichterstattung ist verkürzt und vernachlässigt die Perspektive von BIPoC

Seit der Veröffentlichung des Artikels am 10. Januar wird zahlreich über die aufgedeckten Inhalte der Correctiv-Recherche, Reaktionen von Partei-Vertreter*innen und Demonstrationen gegen rechts berichtet. Während Correctiv, viele andere investigative Journalist*innen und Expert*innen zur Neuen Rechten die Verflechtung aus politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen aufzeigen, fokussiert sich die Berichterstattung jedoch vor allem auf die AfD. Zwar ist der Fokus aufgrund von Umfrageergebnissen und potenziellen Erfolgen der AfD bei anstehenden Wahlen verständlich, dennoch verkürzt er die eigentliche Tragweite der Bedrohung für unsere Demokratie durch die Neue Rechte. Zugleich stört mich die unreflektierte Übernahme rechter Sprache – gut ersichtlich am Beispiel des verharmlosenden Begriffs “Remigration”. Dieser findet sich in zahlreichen Artikeln, ohne ihn in den entsprechenden Kontext einzuordnen. Im Zusammenhang mit den rassistischen Deportationsplänen die damit verbundene Gewalt zu verdecken, spielt rechten Akteur*innen in die Karten. Doch auch unreflektierte Begriffe wie “Fremdenfeindlichkeit” machen mich wütend, weil sie indirekt unterstellen, dass Anhänger*innen der Neuen Rechten entweder nur jene ablehnten, die noch neu in Deutschland sind – oder BIPoC wie mir zuschreiben, wir gehörten nicht zur deutschen Gesellschaft. Spätestens nach Aufdeckung der konkreten Vorhaben zur gewaltsamen Vertreibung von unter anderem passdeutschen BIPoC sollten solche Begriffe kritisch hinterfragt werden und nicht mehr zu lesen sein. Denn Sprache ist das Geschäft der Medienvertreter*innen und ihre unreflektierte Verwendung zeugt von einem Mangel an Professionalität.

Gleichzeitig sind BIPoC, die in erster Linie Adressat*innen der Deportationspläne sind, in Nachrichten kaum abgebildet. Als Teil dieser Gesellschaft fühle ich mich hier nicht vertreten. Wo sind die Fragen von Journalistinnen danach, wie sich rassifizierte und migrantisierte Menschen in Deutschland gerade fühlen und was sie sich wünschen? Während ich mich in meinem Netzwerk mit BIPoC über unsere Verunsicherung, unsere Sorgen mit Blick in die Zukunft und unsere Wut austausche, finde ich kaum etwas davon in der medialen Berichterstattung. In einem der wenigen Beiträge, die ich mitbekomme, in denen ein Vertreter einer Migrant*innenselbstorganisation in Thüringen zu Wort kommt, fragt ihn die Journalistin, ob er von den Plänen der Neuen Rechten überrascht worden sei. Auch wenn die Frage natürlich gestellt werden kann, offenbart sie doch gleichzeitig die vollkommen unterschiedlichen Lebensrealitäten von weiß-positionierten Menschen und vielen BIPoC in diesem Land. Dass BIPoC in Deutschland noch viel zu oft ausgegrenzt, abgewertet und von rechter Gewalt betroffen sind, ist den meisten BIPoC sehr bewusst. Während viele BIPoC also in ihren privaten Safer Spaces mehr oder weniger entschlossen Umgangs- und Fluchtstrategien besprechen, finden ihre Belange in der breiten Öffentlichkeit kaum Gehör. Statt jedoch vielfältige Perspektiven in Medienbeiträge einzubeziehen, werden Stereotype über Geflüchtete, Migrant*innen und BIPoC häufig geteilt und tragen so dazu bei, Rassismus zu reproduzieren.

Wegducken vor Verantwortung geht nicht mehr – Demokratische Parteien müssen mehr leisten

Zwar ist die völkisch-rassistische und demokratiefeindliche Ideologie der AfD durch zahlreiche Aussagen ihrer Vertreter*innen belegt, doch dürfte ihre Grundhaltung nun selbst für die Ignorantesten rückhaltlos demaskiert worden sein. Damit sollte auch dem/der letzten politischen Amtsträger*in klar sein, dass Menschen, die diese Partei wählen, nicht besorgt, sondern rassistisch sind. Denn wie auch aus dem Artikel von Correctiv hervorgeht: Während unter rechten Anhänger*innen zu zahlreichen Themen Dissens herrscht, liegt der gemeinsame Nenner in der ablehnenden Haltung gegenüber Migration und migrantisch gelesenen Menschen. Statt sich also weiter verzweifelt rechten Wähler*innen anzubiedern, um der AfD zu eigenen Gunsten ein paar Stimmen zu entziehen, sollten sich demokratisch gesinnte Parteivertreter*innen klar von rassistischen Einstellungen distanzieren und dem Druck der Straße nachgeben, sodass die Prüfung eines AfD-Verbotes mindestens auf Landesebene angestoßen werden kann. Wem jetzt direkt in den Sinn kommt, dass rechtsextreme Parteien politisch besiegt werden müssten, sei gesagt: Ein Verbot UND die Stärkung demokratischer Institutionen, solide Bündnissen mit klarer Kante gegen rechts, gute politische Kommunikation und lösungsorientierte Politik sowie die deutliche Unterstützung demokratiefördernder Projekte der Zivilgesellschaft, schließen sich nicht aus.

Darüber hinaus wäre der Fokus auch dort sinnvoll, wo die Selbstwirksamkeit am größten ist: Gerade die Union könnte die eigenen Reihen nach rechtem Populismus und rassistischen Inhalten durchsieben und direkt mit den Parteivorsitzenden beginnen. Neben der Union bedienen sich auch alle andere Parteien stereotyper Bilder, um Stimmung für ihre jeweiligen Themen zu machen. Dabei werden permanent Menschengruppen zu Schuldigen erklärt, die in Deutschland ohnehin marginalisiert sind: So zum Beispiel Geflüchtete, BIPoC, arme Menschen oder Menschen ohne Lohnarbeit. Dass die Diskursverschiebung nach rechts sich auch in konkreten Beschlüssen niederschlägt, beweisen die restriktive Asylpolitik oder die Verschärfung der Bürgergeld-Sanktionen. Gerade weil die Idee einer völkischen Definition des Deutschseins weit über rechtsextreme Kreise bis hin zu der vermeintlichen “Mitte der Gesellschaft” verbreitet ist, ist sie so gefährlich. Auch ständige Debatten um “Leitkultur” sind Ausdruck eines konstruierten “wir” gegen “die”. Vor diesem Hintergrund ist die Abkehr vom Rechtsruck in der deutschen Politik und öffentlichen Debatte längst überfällig.

Wenn sich BIPoC und Migrant*innen von diesem Auftreten nicht abgeholt fühlen, geschweige denn sich für einen Partei-Beitritt zu begeistern, kann das niemanden ernsthaft überraschen. Während sich bekannte Politiker*innen in polemischen (Schein-) Debatten an marginalisierten Gruppen abarbeiten, steigen die Übergriffe mit rechtsextremistischem Hintergrund. Aufgabe von Politik ist es, sich für den Schutz aller in Deutschland lebenden Menschen einzusetzen. Doch gerade in diesen Zeiten müssen demokratiefördernde Projekte wegen der Haushaltskürzungen ihre Arbeit herunterfahren oder sogar einstellen. Wenn sich Politiker*innen jetzt nach der Aufdeckung des NSU und rechten Netzwerken in deutschen Sicherheitsbehörden, nach den rechtsterroristischen Attentaten von Hanau und Halle sowie letztlich dem Bekanntwerden der rechtsextremistischen Pläne hinstellen und vorgeblich den Schutz von BIPoC und Migrant*innen garantieren, wirkt das auf mich wie Zynismus.

Zivilgesellschaft: Über Plakate hinaus denken und handeln

Deutschlandweit waren bisher weit über eine Millionen Menschen bei Demonstrationen unterwegs. Beeindruckend ist dabei, dass nicht nur Menschen in Großstädten und Ballungsgebieten demonstrieren, sondern auch in zahlreichen kleineren Orten Bürger*innen in Form von Protesten ein Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus setzen. Ich habe vor allem vor den Menschen Respekt, die demonstrieren, wo die Neue Rechte bereits Erfolge bei Landtagswahlen und dem Einnehmen des öffentlichen Raumes aufweist. Während aktuelle Umfrageergebnisse zwar keinen erheblichen Einbruch der Zustimmungswerte unter AfD-Wähler*innen zeigen, so scheint es sich doch ein bisschen wie mit der Warnung auf Zigarettenpackungen zu verhalten: Die Überzeugten bleiben dabei, aber alle anderen sind (hoffentlich langfristig) angewidert und lassen lieber die Finger davon. Bündnisse aus Verbänden, Vereinen, Kirchen, Unternehmen, etc. mobilisieren ihre Netzwerke, um sich gegen die AfD und für ein pluralistisches Deutschland einzusetzen. Vermutlich bin nicht nur ich gespannt darauf, wie sich die Bewegung weiterentwickelt, ob konkrete Forderungen gestellt werden und ob/wie sich der Druck der Straße auf politisches Handeln auswirkt. Denn auch wenn diese Bewegung bisher chancenreich ist, so gab es doch auch zuvor schon zahlreiche Kundgebungen gegen Rassismus, für Toleranz und Diversität. Der Haken an der Sache: Wer selbst nicht negativ von Rassismus betroffen ist, kann relativ leicht zurück zum gewohnten Alltag zurückkehren. Das zeigt sich trotz all der öffentlichen Solidaritätsbekundungen auch im Privaten: In Gesprächen stelle ich fest, dass neben mir auch keine anderen BIPoC von einer weißen Person in ihrem Umfeld nach ihrem Wohlbefinden während all der belastenden Berichterstattung gefragt wurde. Das Thema scheint nur dann wirklich präsent, solange Menschen auf einer Demo gegen rechts sind. Ich frage mich: Wie groß ist die Empathie mit BIPoC? Warum kann diese schreckliche Situation nicht ein Anlass dafür sein, dass ein ehrliches Gespräch zustande kommt?

Während die aktuellen Demonstrationen wichtig sind, um Politik dazu zu bewegen, den aktuellen Status Quo zu verteidigen, braucht es langfristig noch mehr Engagement, um Rassismus einzudämmen. Wenn ich bei einer Demonstration Plakate sehe, auf denen weiße Menschen gegen die AfD sind, weil sie Pizza oder “ihren Döner lieben” ist das nichts anderes als die Reproduktion von rassistischen Bildern, mit denen unter anderem auch die AfD arbeitet. Menschen, die sich selbst als solidarisch empfinden, dürfen sich auf den Weg der kritischen Auseinandersetzung mit ihrem eigenem Rassismus machen. Dazu gehört nicht nur “anders-Aussehen” oder “andere” Religionen zu akzeptieren, sondern vielmehr das Fundament für ihre Bewertungen des vermeintlich “anderen” aufzubrechen: die konstruierte Norm, die eine soziale Hierarchie erschafft und tief in unserer deutschen Struktur verankert ist. Der entsetzte Blick auf “die Rechten” kann ein verführerischer Abwehrmechanismus sein – und zwar genau dann, wenn keine rigorose Auseinandersetzung mit den eigenen (unbewussten), stereotypen Bildern und verdeckten rassistischen Einstellungen daran anschließt. Es ist von essenzieller Bedeutung im beruflichen oder alltäglichen Kontext aktiv gegen jegliche Form von Rassismus und Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Erst das ist anti-rassistisch und geht über oberflächliche Solidaritätsbekundungen hinaus.

Nach allem, was inzwischen der Mehrheit der Politik und Bevölkerung bekannt ist, nach all den Menschenleben, die Rassismus und menschenfeindliche Ideologien in Deutschland schon gefordert haben, ist es längst überfällig, dass ein tiefgehender, machtkritischer gesellschaftlicher Prozess angestoßen wird.

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